Katalog 2003© Copyright Texte und Bilder: Sebastian Walter-Lilienfein Zum Vergrößern auf die Titel klicken.
Umschlag: Baum und roter Stuhl 1998 Öl auf Leinen 180 x 120 cm
SEBASTIAN WALTER-LILIENFEIN Malerei 1995 – 2002
Sebastian
Walter-Lilienfein wurde 1959 in Düsseldorf geboren, studierte ab 1980
Freie Malerei an der HBK Kassel bei Prof. Kurt Haug und Prof. Manfred
Bluth, Diplom 1986. Er lebt und arbeitet seit 1987 in Essen-Kettwig.
1991 wurde er Mitglied im Künstlersonderbund in Deutschland.
Seit
1986 Einzel- und Gruppenausstellungen u.a. in Berlin (z.B.
Realismustriennalen ’93 und ’96 im Gropiusbau), Düsseldorf, Essen,
Fulda, Kassel, Köln, Mainz, München, Paris (z.B. FIAC, Salon
D’Automne), Ratingen.
Nach dem Fest 2002 Öl auf Leinen 200 x 100 cm »Ich bin so glücklich,
mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, dass
meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht
einen Strich, und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen
Augenblicken.« — Goethe
»Was ist dein künstlerischer Standpunkt,
wo ist deine Position?« Die heute übliche Frage kommt mir in den Sinn,
wenn ich versuche, meine Arbeit in die unüberschaubare Kunstproduktion
unserer Zeit einzugliedern. Sofort stellt sich ein »Keine Ahnung!« ein,
diese Frage kommt bei mir nicht von innen. Vielleicht ist
künstlerische Tätigkeit eine Möglichkeit im Leben Position zu beziehen
oder die eigene Position im Leben, in der Welt herauszufinden; wie bin
ich mit dieser Welt verflochten, in die ich unwillentlich, unschuldig
und unwissend geraten bin und die ich unwillentlich, wenig wissend und
sicher nicht unschuldig wieder verlassen muss. Vielleicht ist es
eine Möglichkeit das Leben, die Welt zu befragen oder in Frage zu
stellen. Vielleicht ist es auch eine Möglichkeit die Welt auszuhalten:
Heimat zu finden an einem Ort, an dem man in die größtmögliche Nähe zu
sich und damit zur Welt rücken kann – »Finde diesen Ort und beheimate
dich selbst in deiner Arbeit!« möchte ich mir zurufen.
Wenn
ich an meine Entwicklung, an die Hinwendung zum gegenständlichen
Arbeiten denke, so erinnere ich mich an einen Spaziergang mit meinem
Neffen. Er war drei Jahre alt und mit seinem Bobby-Car und mir
unterwegs als er plötzlich vor einem Autoreifen, der hoch über ihm
aufragte, anhielt. Allen Versuchen seines Onkels ihn weiterzuziehen,
widerstand er eisern. Nach einiger Zeit der Ungeduld wurde ich
aufmerksam und hatte plötzlich den Eindruck, er sehe den Reifen auf
eine völlig andere Art als ich. Er wirkte so konzentriert als höre er dem Reifen zu, er schien in einer Art Kommunikation gefangen. Es
erinnerte mich unwillkürlich an eigene Erfahrungen in bekifftem
Zustand: Am Anfang meines Studiums durchstreifte ich mit einem Freund
täglich die Wälder der Umgebung, und wir ließen mit mystischer Inbrunst
Landschaft, Licht, Bäume auf uns einwirken. Es konnte vorkommen,
dass man vor einem Stück Waldboden verharrte, vor einigen Zweigen, Laub
und Steinen; überwältigt als sehe man gerade eine wundervolle erlesene Komposition. Von dieser Herangehensweise an das Leben war auch unsere künstlerische Produktion geprägt.
Wir zeichneten zuerst nur, um etwas lange ansehen zu können, wirklich sehen, das schien fast genug. Ohne
an ein Umformen oder Abstrahieren der Dinge im Bild zu denken – sich
einfach ihrer sinnlichen Gewalt hinzugeben und zuzuhören, das war uns
genug.
Als diametralen Gegensatz zu meinem aus der Distanz
vielleicht als »romantisch« zu bezeichnenden Lebensgefühl, erlebte ich
damals die Documentas der achtziger Jahre in Kassel. Es schien mir
als würden sich hier gesellschaftliche Kreise, die nur an der Erhaltung
verkrusteter Strukturen interessiert waren, den Schein von Jugend und
Revolution aneignen. Ich merkte, wer das »Avant-garden« gepachtet
hatte: »Junge Wilde« schritten plötzlich Hand in Hand mit
Bankdirektoren, das greise internationale Kapital umarmte den
jugendlich-revolutionären Gestus! Hier war Widerstand angebracht,
und ich konnte damals nicht verstehen, warum der größte Teil der linken
Bewegung diese Erkenntnis nicht teilte. Ich habe mich immer gewundert,
warum in der »taz« die gleichen Ausstellungen mit den gleichen Worten
besprochen wurden wie in der »Welt«.
Nach dem Studium war man
dann gezwungen sich mit allen möglichen Kultur institutionen
auseinander zu setzen, einer internationalen Kunst szene, die den Markt
beherrscht und sich
Als Selbstverständnis ist eins wesentlich
für mich, besonders in Zeiten des Haderns: Mein Leben, mein großes
Experiment hat mich zu meinem eigenen Bildfinden geführt, um sich darin
zu spiegeln. Komposition. in ihren Diskursen, ihren »Positionen«
und »Standpunkten« selbst genügt. Wenn ich mir die übliche Forderung
»Sei experimentell!« vergegenwärtige, so denke ich: Ist die
künstlerische Produktion mit dem viel größeren übergeordneten
Experiment verknüpft, dem Leben – setzt sie sich mit diesem
geheimnisvollen Experimentierfeld auseinander, so entstehe was will,
sei es nun abstrakt, informell, realistisch oder versponnen.
Sebastian Walter-Lilienfein 2003
Ins Blaue 1996 Öl auf Leinen 170 x 140 cm
Überwintern 1995 Öl auf Leinen 160 x 140 cm
Das Cello 1997 Öl auf Leinen 160 x 100 cm
Herbst 1996 Öl auf Leinen 140 x 120 cm Kritischer Dialog 1997 Öl auf Leinen 140 x 70 cm
Mareike 1996 Öl auf Leinen 160 x 80 cm
Die Familie 1998 Öl auf Leinen 100 x160 cm
Züchte Tauben 1997 Öl auf Leinen 100 x 160 cm Mit Agaven und Vasen 1998 Öl auf Leinen 160 x 120 cm
Dezemberbrief 1999 Öl auf Leinen 160 x 120 cm Mit Adler und Vase 1999 Öl auf Leinen 140 x 70 cm
Erinnerung an bessere Zeiten 2000 Öl auf Leinen 70 x 140 cm Die Braut des verschollenen Navigators 2000 Öl auf Leinen 160 x 140 cm
Marmor, Tisch und Glas 1999 Öl auf Leinen 160 x 140 cm
Berührung 2001 Öl auf Leinen 80 x 160 cm
Krüge 2002 Öl auf Leinen 80 x 160 cm Pubertät 2001 Öl auf Leinen 160 x 140 cm
Papierskelett 2001 Öl auf Leinen 140 x 160 cm Max 2002 Öl auf Leinen 100 x 160 cm
Glas und Holz 2000 Öl auf Leinen 120 x 160 cm Die gläserne Kugel 2000 Öl auf Leinen 140 x 180 cm
Der Schleier 2002 Öl auf Leinen 140 x 100 cm Dachbodenszene 2001 Öl auf Leinen 250 x 140 cm Aus den Kalendernotizen 1998 bis 2002
Malerei
als Möglichkeit ins Leben hineinzugehen. Statt Betrachtung oder
Darstellung aus der Distanz will ich mich malend in den Dingen auflösen
und sie dann mit mir selbst auf der Leinwand neu zusammenfügen. [’98]
Raum
als Käfig, in dem Dinge oder Menschen gefangen sind, eingesperrt in die
Tiefe von Vertikalen, Schutz suchend in den Schatten... Dinge, durch
das Licht kostbar wie seltene Tiere. [’98]
Im Bild gieren die
Dinge nach Licht, um sich daran zu mästen, fett und glänzend zu werden,
Raum zu greifen und dann wieder zu verschwinden. Von hinten drangen sie
in die Leinwand, um sich dort kurz zu verwirklichen. [’98]
Für
mich ist das Malen ein Zuhören. In erster Linie will ich nicht etwas er
zählen, sondern den Dingen zuhören. Ich will nicht durch das Malen
etwas über die Dinge sagen, sondern den Dingen im Bild zur Sprache
verhelfen. [’99]
Nach außen sehend – aber mit nach innen
gewendetem Blick – entsteht meine Komposition, sodass ich – im Bild
mein Inneres abschreitend – eine Tür zum Außen öffne. [’99]
Das
Hochformat nimmt der Komposition das Gegenständliche, Erzählerische –
verstärkt die abstrakten, transzendentalen Aspekte. Ein Querformat ist
eher erzählerisch, zeigt einen der Sehweise angepassteren Ausschnitt.
[’99]
Eine einzige Breitseite aus
dem eichenen Rumpf des Unbewussten – uneinnehmbar ist diese dunkle
Festung. Eine volle Breitseite in die straffe Takelage des Verstandes
und alles hängt in wirren Fetzen, die vorher weißen geblähten Segel der
Gedanken – manövrierunfähig die ganze stolze Fregatte. Oft hat sie mich
zu fernen Ufern gebracht. [’99]
Es gibt morgendliche Augenblicke
– besonders nach langen grauen Perioden – wenn die Sonne durch den
frühen Dunst bricht, in den verstecktesten Winkeln Glänzen und Funkeln
ent zündet, wenn das erste laute Konzert der Vögel fast schrill in die
Sinne dringt, dann schneidet die Schönheit in die Seele wie eine
scharfe Klinge. Die Freude hat dann etwas Schmerzvolles, weil sie aus
einer Wunde quillt. [’00]
...löst eine Fläche sich in Raum –
wird aus der Idee ein Traum – ist Denken plötzlich leicht wie Gleiten –
entschlüpfst du durch den Spalt – zwischen die Zeiten... [’01]
Die
Fülle in meinen Bildern, das Auseinanderfallen und dann wieder
Zusammengehaltensein in der Komposition; die farbliche Heftigkeit und
wiederum der Kampf um Ausgeglichenheit – das alles ist nichts anderes
als das Aus leben einer zentralen menschlichen Problematik mit anderen
Mitteln – es ist ein Nachspielen des Spagats, das »Leben« für den Menschen bedeutet. Das Die
Erde, Natur, unsere Heimat, kann uns berauschen, Spiegel sein für
unsere Sehnsüchte nach Frieden und Schönheit und uns im nächsten Moment
zur tödlichen Falle werden; ein Gewitter, ein Wirbelsturm ist
erhabenstes ästhetisches Schauspiel und gnadenloser Henker zugleich. Die
Natur ist ein ungeheurer, triebhafter Moloch, der verschwendungssüchtig
die allerschönsten Formen hervorbringt und dann erbarmungslos alles
Fleisch zurückfordert. Der gesunde Mensch, ein Wesen halb darin,
halb außerhalb, in einem äußerst empfindlichen Gleichgewicht, ist ein –
physikalisch gesprochen – instabiles Element, das jeden Augenblick
auseinander fallen kann. [’01]
Das Mysterium scheint auf im
Wahrnehmen des Seins der Dinge – ich suche Ruhe und Erkenntnis in
diesem Wahrnehmen. Vielleicht, dass sich mein Sein im Sein der Dinge
spiegelt und ich über diesen Umweg zu Erkenntnis gelange. [’02] Zerrissensein zwischen Triebhaftigkeit
und kulturellen moralischen Normen, zwischen genetischen Rudimenten
äffischer Instinkte und der christlich abendländischen Tradition.
Diametral gegensätzliche Impulse gilt es ständig auszugleichen.
Sebastian Walter-Lilienfein Impressum
Gestaltung: Thomas Waltner Text- und Bildauswahl: Susanne Lilienfein Bildreproduktion: Achim Kukulies und J. Peters-Jochum Fotodokumentation (Arbeitsprozess): Jacob J. Bryl © Copyright Fotos: Jakub J. Bryl Zum Vergrößern auf das Bild klicken.
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